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Diabetes

«Alle Emotionen sind berechtigt»

Foto: Hybrid via Unsplash

Lea Raak ist 27 und wird seit zehn Jahren von der Diagnose Diabetes Typ 1 begleitet. Im Interview erzählt sie von den Symptomen, warum die Diagnose eine Erleichterung für sie war und warum es vollkommen okay ist, das Leben manchmal auch nicht positiv zu sehen. 

Wann und wie kam es zur Diagnose, und wie ging es dir kurz danach? 

Ich bekam die Diagnose mit 17 Jahren während meines Auslandsjahres in den USA und wurde leider drei Monate lang fehlbehandelt. Die typischen Symptome wie vermehrter Durst, häufiges Wasserlassen, Schwindel und Krämpfe wurden mit «Heimweh» abgetan, weshalb es mir zum Zeitpunkt der tatsächlichen Diagnose sehr schlecht ging. Ich hatte stark abgenommen und konnte aus eigener Kraft nicht mehr als ein paar Schritte gehen. Nachdem ich schweren Herzens mein Auslandsjahr abgebrochen hatte und im Rollstuhl durch die Flughäfen gebracht wurde, war ich dann für zwei Wochen in Deutschland im Krankenhaus. Hier bekam ich endlich schnell wirkendes Insulin und eine Schulung. Mein erstes Gefühl nach der Diagnose war tatsächlich Erleichterung, weil meine Symptome nun erklärbar wurden und ich wusste, dass Diabetes eine Erkrankung ist, mit der ich leben kann. Durch die anfängliche Fehldiagnose entwickelte sich bei mir eine Angststörung, die eben daraus resultierte, dass ich nicht wusste, was mit mir nicht stimmt, und Angst hatte, in den USA zu sterben. 

Was hast du seitdem verändert und was hast du dazugelernt?

Der lange Leidensweg zur Diagnose und die daraus resultierenden psychischen Probleme haben mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Diabetes war zwar der Auslöser, aber lange Zeit nur Nebensache in meinem Kampf zurück ins Leben. Ich habe in dieser Zeit Bewältigungsstrategien gelernt, die mich aus schlechten Phasen immer wieder herausbringen können. Ich habe auch gelernt, dass es nicht schlimm ist, Hilfe anzunehmen, und dass es okay ist, wenn ich mein Leben mit einer chronischen Erkrankung nicht jeden Tag positiv sehen kann. Ich bin schnell zur Expertin meines eigenen Körpers geworden und merke schnell, wenn etwas nicht stimmt oder ich beispielsweise mehr Ruhe brauche.  

Wie schaffst du es, Diabetes in dein Leben zu integrieren und dir nicht von der Diagnose das Leben vorgeben zu lassen? 

Mit meinem Aktivismus und als Patientinnen- und Patientenvertreterin mache ich anderen Menschen Mut, vulnerabel und authentisch zu sein. Alle Emotionen sind berechtigt – es ist manchmal hart, eine unheilbare Erkrankung zu haben, da gibt es an manchen Tagen nichts Positives dran. Mir persönlich hilft es vielmehr, meinen Emotionen Raum zu geben und über sie zu sprechen – in allen Lebenslagen. Ich habe ein wunderbares Supportsystem – durch Familie, Freundinnen und Freunde, aber auch durch das grossartige Netzwerk von Menschen mit chronischen Erkrankungen, die ich über die sozialen Medien oder durch meine aktivistische Arbeit kennenlernen durfte. Ich weiss, wo meine Grenzen liegen, und akzeptiere, dass es Tage gibt, an denen ich nicht alles machen kann und es langsam angehen muss. Dafür habe ich dann an anderen Tagen die Energie, zu reisen und mein Leben voll auszukosten.

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