80’000 – oder fast ein Prozent der Bevölkerung: So viele Menschen leiden in der Schweiz an Epilepsien, darunter etwa 15’000 Kinder und Jugendliche. Im Interview erklären die Neurologin Dr. Andrea Rüegger und die Ernährungsberaterin Daniela Moor vom Kinderspital Zürich, was ketogene Ernährungstherapien sind und was diese bei Epilepsien bringen.
Dr. Andrea Rüegger
Neurologin am Kinderspital Zürich
Daniela Moor
Ernährungsberaterin am Kinderspital Zürich
Was sind Epilepsien?
Dr. Andrea Rüegger: Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die sich mit wiederkehrenden epileptischen Anfällen zeigt. Diese werden durch eine vorübergehende Störung der Nervenzellen ausgelöst. Die Symptome von Epilepsie können vielfältig und je nach Epilepsieform unterschiedlich sein. Zu den häufigsten Anzeichen gehören plötzliche Veränderungen im Verhalten, Bewusstseinsverlust, unkontrollierte Bewegungen, Zuckungen oder Krämpfe, bei denen entweder einzelne Muskeln oder der gesamte Körper betroffen sein können. Epilepsien können in jedem Alter auftreten, besonders häufig erkranken kleine Kinder und über 60-Jährige.*
Was ist die ketogene Ernährungstherapie?
Dr. Andrea Rüegger: Das ist eine Ernährungsform, die bei der Behandlung von Epilepsien eingesetzt wird und bei einigen Stoffwechselerkrankungen die Therapie der Wahl ist.
Daniela Moor: Wer sich ketogen ernährt, isst reichlich Fette, Eiweisse und sehr wenige Kohlenhydrate. Aus den zugeführten Fetten werden durch den Körper Ketone gebildet, die das Gehirn als alternative Energiequelle (ansonsten wird der Zucker als Energie gebraucht) nutzen kann. Dieser Zustand des Körpers nennt man Ketose und ist ähnlich, wie wenn eine Person fastet.
Wie wirkt die KET, und wem kann sie helfen?
Dr. Andrea Rüegger: Epilepsie ist nicht gleich Epilepsie – jede epileptische Erkrankung verläuft individuell und spricht unterschiedlich auf Medikamente (anfallsunterdrückende Medikamente) an. Bei bestimmten Epilepsieformen führt die ketogene Ernährungstherapie zu einer deutlichen Verbesserung der Anfälle oder sogar zu Anfallsfreiheit. Meist wird die ketogene Ernährungstherapie parallel zu den Medikamenten begonnen, und bei gutem Verlauf können diese möglicherweise reduziert und gestoppt werden.
Daniela Moor: Zu uns kommen oft Familien mit Kindern, die schon viel ausprobiert haben, um die Epilepsie in den Griff zu bekommen. Die ketogene Ernährungstherapie stellt eine zu den Medikamenten alternative Therapieform dar. Medikamente haben mitunter Nebenwirkungen, manche machen die Kinder zum Beispiel müde oder beeinträchtigen die Konzentration.
Ist die ketogene Ernährungstherapie sicher?
Dr. Andrea Rüegger: Die positive Wirkung der ketogenen Ernährungstherapie bei Epilepsien ist seit Jahrzehnten bekannt und belegt. Sie wird in auf Epilepsien spezialisierten Zentren angewandt und ist sicher. Wir prüfen in jedem Fall vorab, ob die KET infrage kommt, und schliessen dabei aus, dass etwas dagegenspricht.
Können schon Säuglinge ketogen ernährt werden?
Daniela Moor: Ja. Die ketogene Ernährungstherapie lässt sich schon sehr früh anwenden und bei Säuglingen durchaus mit dem Stillen kombinieren.
Was kommt bei der ketogenen Ernährung auf den Teller?
Daniela Moor: Bei der ketogenen Ernährung gibt es neben der klassischen Form weitere Unterformen. Wir tischen unseren Patientinnen und Patienten hier im Spital beispielsweise Folgendes auf:
- Früh: Rührei mit Speck oder spezielles Brot («Proteinbrot») mit fettreichem Belag (Butter plus Käse oder Wurst) oder spezielle Pancakes mit Apfelmus
- Mittags: Wienerle oder Lachs mit Salat oder Karotten in Doppelrahmsauce oder Rohkost mit fettreichem Dip oder Konjakreis/-nudeln mit Rahmgeschnetzeltem und als Dessert eine Mascarponecreme
- Abends: Bircher Müsli mit Beeren oder Spiegelei mit Rohkost oder Brot mit Aufstrich/Belag
- Snacks: Oliven, Macadamianüsse, Avocadocreme mit Gurke, ketogenes Eis
Gegebenenfalls müssen auch Multivitamine zugeführt werden, um den Bedarf daran zu decken.
Ist es schwer, sich ketogen zu ernähren?
Dr. Andrea Rüegger: Die Ernährungsumstellung ist aufwendig und sollte nur unter fachkundiger Anleitung erfolgen.
Daniela Moor: Wir informieren, beraten und schulen die Betroffenen und ihre Familien darin. Neben der anfangs engmaschigen medizinischen Betreuung bleiben wir Ernährungsberater:innen auch zur Ernährungsumstellung per Telefon und Mail in engem Kontakt. Ausserdem können die Familien moderne Apps nutzen, um jederzeit komfortabel per Smartphone Mengen und Mengenverhältnisse sowie ketogene Rezepte abzufragen.
Wie lange darf man sich ketogen ernähren?
Dr. Andrea Rüegger: Die ketogene Ernährungstherapie wird oftmals viele Jahre lang angewandt und ist ja nach Erkrankung auch lebenslang notwendig. Die Dauer der Durchführung ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig und wird individuell besprochen. Studien haben gezeigt, dass oftmals der Effekt auch nach zwei Jahren anhält, wenn die Therapie dann gestoppt wird.
* Universitätsspital Zürich (https://www.usz.ch/krankheit/epilepsie)
Mit etwas Kreativitat konnen wir alles so zubereiten, dass Ava es auch essen kann
Ava (bald vier Jahre alt) ist ein lebensfroher, kluger, kreativer kleiner Mensch. Mit sechs Monaten hatte sie ihren ersten Krampfanfall. Nach einer langen Odyssee an Untersuchungen wurde schliesslich die Diagnose Dravet-Syndrom gestellt. Es handelt sich dabei um eine seltene, meist pharmakoresistente Epilepsie im Kindesalter. Ava hat verschiedenste Medikamente bekommen, die alle nicht wirksam waren. Eine Medikamentenkombination hat schliesslich sogar ihrer Entwicklung geschadet: Sie hatte Schlafstörungen, keine Kraft mehr zum Laufen und hörte auf zu sprechen. Ein Zustand, den wir so nicht hinnehmen wollten. Wir baten darum, die ketogene Diät als Möglichkeit für Ava auszuprobieren. In der Kinderklinik wurde Ava dann auf die ketogene Ernährung eingestellt. Da sie schon immer gerne fettig gegessen hat, fiel ihr die Umstellung vergleichsweise leicht. Gleich am zweiten Tag der Einführung der ketogenen Ernährung war Ava bereits in Ketose. Sie hatte mehr Kraft zum Laufen und sprach wieder mehr. Ausserdem schlief sie nachts viel besser. Auch Avas Anfallslage hat sich bis heute deutlich verbessert. Die Anfallsdauer ist kürzer, sie hat weniger Krampfanfälle und auch der Tonus der Anfälle ist leichter. Wir konnten die ketogene Ernährung gut in unseren Alltag integrieren. Tatsächlich ist es viel einfacher, als es auf den ersten Blick erscheint. Mit etwas Kreativität können wir alles so zubereiten, dass Ava es auch essen kann.
Ava kocht sehr gerne gemeinsam mit uns und kennt das genaue Abwiegen der einzelnen Zutaten. Ansonsten macht Ava viele Dinge, die andere Kinder in ihrem Alter auch gerne machen. Zum Beispiel lesen wir viel. Am liebsten Bilderbücher und am allerliebsten das Buch «Ava & Groot – von Epilepsie und Superhelden». Dieses Sachbilderbuch, in dem Ava und Groot die Erkrankung Epilepsie erklären, habe ich für meine Tochter geschrieben und illustriert, um ihr und den Kindern im Kindergarten die Erkrankung zu erklären. Darin wird auch das Superheld:innen-Essen – ketogene Ernährung – kindgerecht erklärt.
Kanso ist eine Marke von Dr. Schär
Wir tragen dazu bei, die Diät von Menschen, die sich ketogen ernähren, einfacher, gesünder und abwechslungsreicher zu gestalten.
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